Ein Land der Begegnungen

16.07.18 - verfasst von Stephie

Iran, das lässt sich am besten über die Begegnungen, die wir in diesem Land erleben durften, begreiflich machen. Wir hatten bereits häufiger gehört, dass das Reisen per Anhalter den wenigsten IranerInnen ein Begriff sei. Vielmehr fungieren viele Privatautos als Taxen beziehungsweise Mitfahrgelegenheit gegen Trinkgeld. Hinzu kommt eine komplizierte Höflichkeitsattitüde namens „Tarof“, bei der es darum geht, zunächst mehr Großzügigkeit vorzugaukeln, als man tatsächlich zu geben bereit ist und seine ehrliche Meinung erst nach mehrfachem Nachfragen preisgibt. Daher haben wir uns im Vorhinein einige Floskeln auf Farsi notiert, um unser Vorhaben erläutern zu können. In welche Richtung fahren Sie? Nehmen Sie uns umsonst mit? Sind Sie sicher? Ist das wirklich kein Tarof? Bereits bei unserer ersten Begegnung stößt unser Vortrag auf Unverständnis. Für Pavris scheint es selbstverständlich, dass er uns kostenfrei vom Tabrizer Stadtrand mit ins Zentrum nimmt und darüber hinaus auch gleich noch auf einen Kaffee zu sich nach Hause einlädt. Etwas verwundert, was zwei deutsche Touristen auf der Autobahn zu suchen haben, ruft er seine englisch sprechende Schwägerin an. Er habe zwei Reisende im Auto und brauche ihre Unterstützung. Also sammeln wir Zahra auf dem Weg ein. Schnell ist das Eis gebrochen und wir verbringen zwei wundervolle Tage mit den Beiden und ihren PartnerInnen. Wir werden praktisch direkt hinter die Kulissen gezogen, dürfen erfahren, wie das Leben junger IranerInnen aussehen kann. Offen gestanden konnten wir uns bis zur Einreise von einer gewissen Ungewissheit diesem Land gegenüber, in dem es so viele Verbote gibt, nicht gänzlich befreien. Im Iran angekommen werden Reisende jedoch häufig mit einer großen Neugierde und Gastfreundschaft empfangen. Es liegt in der Natur der Dinge, dass diese Kontakte hauptsächlich mit den ohnehin eher aufgeschlossenen Landsleuten erfolgen. Daher sind unsere Erlebnisse selbstverständlich nicht repräsentativ für eine ganze Nation und so ist das Bild, welches wir hier zeichnen, zwar unvollständig, aber jenes, welches wir erlebt haben und von dem wir berichten können. 

Pavris und Familie
Pavris und Familie

So verhält es sich auch mit dem Eindruck, dass scheinbar ein Großteil der Bevölkerung das Land dauerhaft verlassen möchte. Zahra und ihr Mann Hamed erzählen uns von ihrer Hoffnung auf ein Schengen-Visum, um in Litauen sesshaft werden zu können. Als Radsportler hat es Hamed im Iran sehr schwer. Die Qualität des Nationalteams, für das er antritt, sei unbeständig. Löhne wären ihm in der Vergangenheit immer wieder teils oder gar komplett verwehrt worden und im Allgemeinen fehle ihm die Transparenz in den formellen Strukturen. Gut nachvollziehbar, dass diese Umstände sehr zermürbend sein können und den Wunsch hervorbringen, sein Glück außerhalb des Landes zu suchen.

Ähnlich ergeht es Reza (Namen geändert), der uns in seinem Lastwagen Richtung Teheran mitnimmt. Trotz Sprachbarriere führen wir, mit Hilfe einer Übersetzungsfunktion auf seinem Handy, erstaunlich tiefgründige Gespräche. Er berichtet uns von seiner Homosexualität und seiner Angst, dass diese ans Tageslicht gerate. Schließlich ist Homosexualität untersagt und wird mit der Todesstrafe durch öffentliches Hängen geahndet. Anscheinend hat er sich bislang noch niemandem zuvor anvertraut. Wir sind zutiefst bewegt und können seinen seelischen Druck vermutlich nur erahnen. Reza wiederholt immer wieder, dass er so bald wie möglich weg möchte. Seine erste Anlaufstelle sei Istanbul, da er neben der iranischen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitze und die Großstadt ihn auf Toleranz hoffen lasse. Nach dem traurigen Dialog versuchen wir die Fahrt so fröhlich wie möglich zu gestalten, denn obendrein ist heute auch noch sein Geburtstag. Wir zaubern ein paar Luftballons aus unseren Rucksäcken, kaufen Kuchen an der Tanke und singen „Wie schön, dass du geboren bist“. Als wir uns verabschieden, lesen wir auf Rezas Handy: „Heute ist der schönste Tag meines Lebens“.

Im Hochzeitsoutfit
Im Hochzeitsoutfit

In der Hauptstadt Teheran nutzen wir seit längerer Zeit das erste Mal wieder Couchsurfing. Bei Hamid bleiben wir gleich vier Nächte. Für uns eine gute Gelegenheit, um die kommenden Visa für Turkmenistan und Usbekistan zu organisieren. Der kleine Bewerbungsmarathon gestaltet sich als überraschend reibungslose Angelegenheit. Mit mehr Freizeit als erwartet schlendern wir über den Bazar, kaufen einen halalen Überwurf für mich, staunen über die gesonderten Frauenwaggons in der Metro oder spazieren durch das Stadtzentrum, jedoch schrecken uns heftige Gewitter und die schier unbegreifliche Größe der Stadt davor ab, diese ausgiebig zu erkunden, sodass wir viel lieber Zeit mit Hamid verbringen. Schon vor unserer Ankunft in Teheran lädt er uns zu einer Hochzeit eines Freundes ein. Klar, das klingt nach einer fantastischen Möglichkeit, die iranische Kultur hautnah zu erleben, doch mit Zip-Hose und Wanderschuhen sind wir für einen solchen Anlass leider gar nicht gewappnet. Wir sollen unbesorgt sein, so Hamid, es werde sich sicherlich etwas für uns finden lassen. So machen wir uns auf den Weg, Simon in einem drei Nummern zu großen Anzug (lediglich die Schulterpolster sitzen akkurat) und ich in Flip-Flops und unauffälliger Alltagskleidung, etwas unsicher, aber mit großer Neugierde im Gepäck. Wir fahren mit dem Auto in den Westen der Stadt, welcher wegen seiner mietbaren Gärten große Beliebtheit bei den feierwütigen TeheranerInnen genießt. Die Gegend lässt ihren Zweck nicht erahnen; entlang hoher Zäune geht es durch ein leblos erscheinendes, verwinkeltes Viertel, welches wir unter anderen Umständen für ein Gewerbegebiet gehalten hätten. Vor einem großen blechernen Tor halten wir an. Ein Sicherheitsmann kommt auf uns zu, Hamid nennt das „Passwort“ (die Namen des Brautpaars) und das Tor öffnet sich. Wir müssen noch durch eine weitere Schleuse fahren, bevor wir schließlich auf das sichtgeschützten Gelände, dem Ort des Geschehens, gelangen. Was auf den ersten Blick wie absurdes Sicherheitsaufkommen erscheint, ist im Prinzip lediglich das Verstecken vor der Sittenpolizei. Die Abschottung verhilft zu annehmlichen Freiheiten, welche in der Öffentlichkeit so nicht denkbar wären. Für die Frauen gibt es gleich hinter dem Eingang ein großes Umkleide-, oder besser gesagt, Auskleidezimmer. Hier kann nach Belieben abgelegt werden. Das Kopftuch fällt bei den Meisten als erstes. Ansonsten tragen viele Frauen einen Mantel, den sie sich lediglich für die Anreise übergeworfen haben. Wie in der Zauberkugel aus der Miniplayback-Show verlassen die Damen den Raum in den schönsten und nicht selten ebenso freizügigsten Abendkleidern. Die vermutlich größte gewonnene Freiheit ist es allerdings, das Fest unter Frauen und Männern gemeinsam stattfinden zu lassen, denn das ist offiziell nach iranischem Gesetz verboten.

Mit dem Brautpaar auf der Tanzfläche
Mit dem Brautpaar auf der Tanzfläche

Im Verhältnis zu dem uns bekannten Prozedere beginnen die Feierlichkeiten relativ spät. Die Gesellschaft findet zur Abendessenszeit zusammen, doch entgegen unserer Erwartung wird nicht direkt aufgetischt, sondern erst einmal getanzt. Also gut, ungewohnt, aber auf geht’s. Nüchtern finden dabei die meisten Gäste direkt aus dem Stand in Partystimmung. Respekt! Davon könnte sich das durchschnittlich eher träge, deutsche Tanzgemüt sicherlich noch eine Scheibe abschneiden. Neben der DJane und einer flotten Liveband im Innenbereich lädt im Garten die seichte Musik einer weiteren, akustischen Band dazu ein, sich Pausen zu genehmigen und andere Gäste bei einer Shisha oder einem Tee kennenzulernen. Zwischendurch werden Häppchen und köstliche, frisch gepresste Säfte gereicht, welche eine bunte Alternative zu alkoholischen Getränken darstellen. Wer dennoch nicht auf ein Gläschen Wein oder ähnliches verzichten möchte, für den gilt „bring your own“. Hamid ist vorbereitet und füllt unsere Gläser mit seinem durchaus schmackhaften Rotwein aus eigener Herstellung. Selbstgebranntes ist im Iran beliebt, denn es ist die einfachste Methode, das strenge Alkoholverbot zu umgehen. Am fortgeschrittenen Abend wird die heitere Gesellschaft zum Tortenanschnitt zusammengerufen. Anschließend geht die Party weiter und wir beginnen uns zu fragen, ob es tatsächlich noch zu einem Abendessen kommen wird. Im Iran sei dieser Ablauf normal, so lassen wir es uns von Hamid erklären. Tanzen, Torte, tanzen. Schließlich wird als letzter Programmpunkt des Abends das Buffet gegen Mitternacht eröffnet. Für unseren Geschmack wird das Essen recht unwürdig zelebriert. Alle Gänge werden gleichzeitig bereitgestellt, was dazu führt, dass die Teller einmal bunt aufgeladen werden und eine halbe Stunde später das durchaus liebevoll hergerichtete Buffet komplett verputzt ist. Ebenso für uns ungewohnt ist die nach dem Essen entstehende Aufbruchsstimmung. Noch ein Foto mit dem frisch vermählten Paar und der ganze Zauber findet nach rund fünf Stunden schon wieder sein Ende. Uns stimmt der Abend besonders im Hinblick auf eine bevorstehende Hochzeit in unserem Freundeskreis, welche wir leider verpassen werden, etwas wehleidig, denn auch wenn an diesem Abend manches neu für uns ist, so gibt es doch erstaunlich viele Gemeinsamkeiten, welche uns an Zuhause denken lassen. Unterm Strich haben wir einen tollen Abend und sind Hamid und dem Hochzeitspaar sehr dankbar, diese besondere Möglichkeit erhalten zu haben. 

Mit Steffi und Oli in Kashan
Mit Steffi und Oli in Kashan

Nach dieser eindrucksreichen Anfangsphase freuen wir uns auf Zeit in unseren eigenen vier Wänden, um das Erlebte etwas Revue passieren zu lassen. In Kashan treffen wir auf Steffi und Oli, welche sich als super nette und gleichgesinnte GeprächspartnerInnen entpuppen. Kurzerhand schmeißen wir unsere jeweiligen Abendpläne um und schlagen unsere Zelte in einer alten Seldschukenfestung im Herzen der verträumten Stadt auf. Es stellt sich heraus, dass wir es fertig gebracht haben, neun Monate mit der gleichen Art und einem ähnlichen Rhythmus quasi parallel zu reisen, um erst hier das erste Mal aufeinander zu treffen. Welch Glück, dass diese schöne Begegnung noch stattgefunden hat, bevor die beiden nun wieder umkehren und den Heimweg antreten. Wir genießen den Austausch unter Reisenden jedes Mal, sind es doch häufig sehr ähnliche und oft lustige Geschichten, die man sich zu erzählen und für die man gegenseitig so viel Verständnis hat.

So auch die Begegnung mit Yub, den wir ebenfalls in Kashan beim Zelten kennenlernen und in Isfahan wieder treffen. Wie unter alten Freunden herrscht beim Wiedersehen eine bereits nette Vertrautheit. Es ist die Zeit des sogenannten Ramasans, des muslimischen Fastenmonats, sodass wir in den ersten Tagen zunächst einmal herausfinden müssen, was erlaubt ist und was nicht. Auf den ersten Anschein ist Essen und Trinken in der Öffentlichkeit tagsüber untersagt, jegliche Restaurants, Cafés sowie Imbisse öffnen erst nach Sonnenuntergang. Doch werden wir immer wieder entwarnt, dass all dies für uns Reisende nicht gilt und es zudem viele IranerInnen gibt, die dem Ramasan nicht folgen. Tatsächlich treffen wir im Park auf lauter Menschen, die unbeschwert picknicken, finden heraus, dass nicht ganz heruntergelassene Imbissrollläden zum Eintreten einladen sollen und es auf Autobahnraststätten ohnehin zugeht, wie zu jeder anderen Zeit im Jahr. Ob man nun religiös ist oder nicht: die jeden Abend wiederkehrende gesellige Stimmung des Fastenbrechens ist vielen willkommen. So treffen wir uns mit Yub auf dem Naqsch-e Dschahan-Platz, wo es sich mit Sicht auf die umliegenden prachtvollen Gebäude wunderbar schmausen lässt.

Unterwegs auf einsamen Wüstenstraßen
Unterwegs auf einsamen Wüstenstraßen

Beim Couchsurfer Hamid in Varzaneh bekommen wir statt eines Sofas sogar ein eigenes Zimmer im Gästehaus seines Onkels. Die kleine Stadt lockt vor allem aufgrund ihrer Nähe zur Wüste. Nicht weit vom Touristenmagneten Isfahan entfernt, müsste man meinen, dass es hier viele Reisende zu einem Abstecher in die großen Dünen und den angrenzenden Salzsee verschlägt, doch Hamids Onkel beklagt die stagnierenden Besucherzahlen. Seiner Theorie nach liegt es daran, dass sich der Autor einer der führenden Reisebuchverlage nicht nach Varzaneh getraut hat. Er wurde angeblich in seinem Hotel in Isfahan vor gefährlichen Mücken in der Wüstenstadt gewarnt und schrieb daher keine einzige Zeile über die Gegend. Wir wissen nicht, was an dieser Geschichte dran ist, dennoch erschreckt es uns, wie einfach Tourismus theoretisch beeinflusst werden kann. Für uns und andere Reisende ist es natürlich eine schöne Gelegenheit, Varzaneh als angenehm authentisches Örtchen wahrzunehmen. Unser Gastgeber Hamid trägt viel dazu bei, dass wir die Zeit hier in wunderbarer Erinnerung behalten werden. Mit nur 21 Jahren beeindruckt er durch seine reflektierende Weltanschauung und entpuppt sich, nicht zuletzt durch seinen trockenen Humor, als wunderbarer Zeitgenosse, der uns in den drei Tagen unseres Aufenthalts schnell ans Herz wächst.

 

Wir fahren gerade bei zwei Herren in Richtung Yazd mit, als uns das vor uns fahrende Auto mit österreichischem Kennzeichen verdächtig bekannt vorkommt. Das sind doch Judith und Wolfgang, die wir vor einer Woche in Isfahan beim Campen im Park kennengelernt haben. Wir machen unseren Fahrern verständlich, dass wir die Insassen im Wagen vor uns gerne grüßen würden. Also beschleunigen wir, ziehen neben die Österreicher und hupen die beiden fröhlich an. Simon und ich sitzen auf der mit getönten Fenstern versehenen Rückbank, zudem befindet sich unser Gepäck auf dem rechten Sitz neben uns, sodass wir wild Winkenden vermutlich ohnehin kaum zu sehen sind. Tatsächlich: sie reagieren unbeeindruckt. Judith am Steuer blinzelt einmal kurz herüber, bringt lediglich ein müdes, höfliches Lächeln über ihre Wangen und konzentriert sich anschließend wieder ganz auf die Straße. Das gibt’s doch nicht! Die haben uns nicht gesehen. Unser Fahrer möchte nicht locker lassen, hält weiter gleich auf und zieht schließlich vor ihnen an den Straßenrand, um die zwei ebenfalls zum Anhalten zu bewegen. Es funktioniert. Als das Rätsel gelöst wird, ist das Gelächter groß. Zu häufig wird man in diesem Land überschwänglich gegrüßt und mit (nicht immer ganz nachvollziehbarem) Interesse an der eigenen Person konfrontiert, als dass man auf all die Neugierde jedes Mal noch ebenso euphorisch reagieren könnte. Mit gleichem Ziel vor Augen verabschieden wir uns in der Annahme, dass wir uns in Yazd sicherlich auch noch ein drittes Mal über den Weg laufen werden. So sollte es ein paar Tage darauf auch geschehen. Wir unterhalten uns prächtig und tauschen bei alkoholfreiem Radler, dem sogenannten „islamic beer“, stundenlang Reisegeschichten aus. 

Jame-Moschee in Isfahan
Jame-Moschee in Isfahan

Unsere Route führt uns entlang der beliebtesten touristischen Pfade, über die antike Stätte Persepolis weiter nach Shiraz. Wenn wir auch grundsätzlich darauf achten, uns vorrangig nicht mit dem Strom der Massen treiben zu lassen, sondern abseits des Angepriesenen das Authentische zu suchen versuchen, so gibt es natürlich meist gute Gründe für die Beliebtheit einer Touristenattraktion. Die famosen Städte entlang der alten Seidenstraße sind hierfür ein treffendes Beispiel. Bei den stetig steigenden Besucherzahlen ist es nicht verwunderlich, dass die Kommunen diese Entwicklung als lukrative Einnahmequelle für sich entdeckt haben. Die Eintrittspreise zu den schönsten Moscheen, antiken Stätten oder persischen Gärten sind in der Summe gesalzen. So freuen wir uns umso mehr, als wir zwanzig Minuten vor Schließung kostenfrei die Möglichkeit bekommen, Persepolis, die Überreste der einst größten Stadt des antiken persischen Reichs, im Blitzdurchgang entdecken zu können. 

In LKWs findet sich immer Platz
In LKWs findet sich immer Platz

Wir schlagen einen großen Bogen in Richtung Norden und verbringen unsere Zeit für ein paar Tage fast ausschließlich mit Trampen. Die Größe des Landes wird uns vielleicht erst jetzt so richtig bewusst. Manchmal müssen wir daran denken, wie spitze es doch ist, welch weite Strecken wir schon dank der Hilfe anderer zurücklegen konnten. Einigen scheint das nur schwer begreiflich zu sein. Die Leute nehmen euch hier mit? Umsonst? Der Pflichtsoldat Arash kann das kaum glauben. Zudem meine er, die Kleinstadt, in der wir gestrandet sind, wäre für uns nicht sicher. Also fahren er und zwei seiner Kollegen uns zum Stadtrand. Eine Straßenkontrolle, so Arash, sei eine gute Möglichkeit, um Autos für uns zu stoppen. Die anwesenden Polizisten werden kurzerhand zu Anhalter-Gehilfen umfunktioniert und schon bald hat das Team eine passende Mitfahrgelegenheit für uns gefunden. Mit Arash kommen wir leider nur kurz ins Gespräch, doch er gibt uns schnell zu verstehen, dass er nicht gerne dem Staat diene, sondern diesem vielmehr sehr kritisch gegenüberstehe. Er fühle sich gefangen, denn wer den zweijährigen Wehrdienst verweigert oder nicht vollständig absolviert, erhält keinen Reisepass. Er träumt vom Reisen, von Europa und davon, für sein Masterstudium ins Ausland zu ziehen, doch selbst mit dem Reisepass in der Tasche scheint es immer schwieriger zu werden, als iranischer Staatsbürger ausreisen zu können. Von den Visahürden einmal abgesehen, muss bei gewünschter Ausreise eine Gebühr von umgerechnet ca. 60 Euro an den Staat bezahlt werden (erst kürzlich wurde die Gebühr ohne weitere Erläuterung von 10 auf 60 Euro angehoben). Mit der Häufigkeit der Ausreisen steigen die Beträge staffelweise an, bei der zweiten Ausreise sind 70 Euro zu bezahlen, bei der dritten sind es schon 80 Euro usw. Wieder einmal wird den IranerInnen ein weiteres Stück Freiheit genommen und auf unterdrückerische Weise versucht, die Bevölkerung dem schon jetzt bröckelnden System unterzuordnen. Für Arash sind wir für kurze Zeit sein Fenster zur „freien“ Welt. Im Hinblick auf das Ende seines Militärdienstes kommt bei ihm eine große Vorfreude auf, mit Handküssen winkt er uns noch lange nach. 

In dem einem Monat im Iran haben wir lediglich sechs Nächte im Zelt verbracht, die restlichen Quartiere konnten wir stets bei Privatpersonen aufschlagen und haben so bis Mashad, unserer letzten Station, keine Unterkunft gegen Bezahlung in Anspruch genommen. Hier, in der zweitgrößten Stadt des Landes, beziehen wir letztlich doch noch ein Gästehaus. So haben wir, neben der Abholung unserer Turkmenistan-Visa, noch genügend Zeit und Ruhe, um uns für die kommenden Tage vorzubereiten, denn ein anstehender Grenzübergang ist auch immer mit der Einholung von Informationen verbunden, wie z.B. die Überlegung eines groben Routenverlaufs, die Höhe des Wechselkurses, Verhaltensregeln im neuen Land oder auch die Recherche nach Erfahrungsberichten anderer Tramper. Doch schnell wird unser Fokus auf ein anderes Thema gelenkt. Amma und Jürg aus der Schweiz, sowie Mimi und Andi aus Österreich, allesamt LangzeitradlerInnen, die im gleichen Gästehaus nächtigen, tauschen sich naturgemäß viel über ihre Art zu Reisen aus. Wir spitzen die Ohren: Bodenbeschaffenheit, platte Reifen, Energiezufuhr, Packtechnik, Gesäßschmerzen. All die Themen klingen plötzlich super interessant. Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten einige Radreisende getroffen und Einblick in deren Perspektive des Unterwegsseins erfahren. Ich habe schon etwas länger mit dem Gedanken gespielt, auf der Reise einmal umzusatteln. Jetzt hat es auch Simon gepackt. Nach den netten Tagen mit den vieren würden wir am liebsten in den nächsten Fahrradladen springen und uns ein Bild davon machen, wie realistisch es sein könnte, diese Idee tatsächlich umzusetzen. Doch zunächst steht die Weiterreise an. Unser Iran-Visum endet bald und das mit nur fünf Tagen knapp bemessene Transitvisum für Turkmenistan möchten wir selbstverständlich voll auskosten.

 

Unsere letzte Mitfahrgelegenheit im Iran ist eine liebe Familie, die es sich trotz unserer freundlichen Proteste nicht nehmen lässt, uns 50 Kilometer weiter als ihren eigentlichen Zielort zu chauffieren und somit direkt bis zur Grenze zu bringen. Wir nehmen es schließlich dankbar hin, empfinden nach vier Wochen im Iran die überwältigende Gastfreundschaft der Menschen immer noch als ungewohnt. Man wird in diesem Land an die Hand genommen und mit solch einer Neugier und Offenherzigkeit empfangen, dass es schier unmöglich ist, sich hier nicht pudelwohl zu fühlen. Welcome to Iran.