Von Erwartungen und Überraschungen

29.05.18 - verfasst von Simon

Während der Vorbereitungen zu unserer Reise waren zwei Länder immer wieder Thema, die uns durch Dokumentationen sowie Erzählungen anderer Reisender besonders schmackhaft gemacht worden sind: Georgien und die Mongolei. Mit der Einreise nach Georgien haben wir denn nun eines dieser größeren Etappenziele erreicht. Wohl wissend, dass die Hervorhebung der beiden Nationen den übrigen Ländern auf unserer Route nicht gerecht wird (da eigentlich jedes Land auf seine Art und Weise sehr spannend sein kann), ist diese Einleitung dennoch notwendig, um den Grundgedanken dieses Artikels zu verstehen. Immer wieder wurde uns im Voraus berichtet, welch atemberaubende Landschaften es in Georgien zu entdecken gibt, wie herzlich die Menschen einem dort begegnen oder wie exquisit die traditionelle Küche ist, die zu Sowjet-Zeiten gar als Haute Cuisine galt. Rückblickend können wir in der Tat vieles von dem nachvollziehen, was uns zuvor von diesem Land berichtet wurde, doch fällt uns in den letzten Wochen auf, was für einen großen Unterschied es machen kann, wenn vorab bestimmte Erwartungen an ein Land herrschen und man diese, bewusst oder unbewusst, zu bestätigen sucht oder, umgekehrt, man so gut wie gar nichts von dem Land weiß, in das man einreist und welches einen in diesem Falle mit nicht vorhersehbaren Eindrücken überraschen kann. 

Beliebter Zeitvertreib an Tankstellen
Beliebter Zeitvertreib an Tankstellen

Letzteres gilt definitiv für Armenien, welches wir die meiste Zeit über lediglich als Durchreise-Land abgestempelt hatten und das für uns immer im Schatten der beiden Länder davor und danach stand, nämlich Georgien und Iran. Davon abgesehen, dass wir im Hinblick auf die sogenannte samtene Revolution rein zufällig in eine der spannendsten Phasen in der jüngeren Geschichte dieses Landes platzen, wächst uns Armenien vor allem wegen der ehrlichen Herzlichkeit seiner Menschen und seiner außergewöhnlich schönen Natur ans Herz und wir bereuen es im Nachhinein, nur eine gute Woche Reisezeit hierfür genommen zu haben. Das soll nicht bedeuten, dass wir von Georgien im Gegenzug enttäuscht wären, im Gegenteil: wir sind von dem Land begeistert und wollen hier definitiv eines Tages noch einmal hin zurückkehren; es haben sich lediglich einige wenige Alltagsmakel aufgetan, die unsere vorinstallierten paradiesischen Vorstellungen leicht ernüchterten und uns zu verstehen gaben, in Zukunft lieber nicht zu viele Erwartungen zu haben und sich stattdessen eher überraschen zu lassen.

Mit dem Eintreffen des Frühlings beginnt eine Zeit unbeschwerten Reisens. Obwohl wir uns für die nächsten Monate ein vergleichsweise straffes Programm vorgenommen haben, da wir den Sommer gerne in Zentralasien und Fernost verbringen möchten, nehmen wir uns für das recht kleine Land Georgien immerhin vier Wochen Zeit. In Batumi, einer Küstenstadt am Schwarzen Meer kurz hinter der türkischen Grenze, bleiben wir gleich drei Nächte, um uns zu „akklimatisieren“, ein Gefühl für die Sprache und die Währung zu bekommen und unserem Blog-Artikel über die Türkei den letzten Schliff zu verpassen. Die Stadt schreckt zwar anfangs durch riesige Hotelbauten und teils dubioses Casino-Flair ab, kann jedoch durch ihre charmante Altstadt punkten, wo wir uns in so manchem Restaurant oder Imbiss an die vielversprechende Essenskultur herantasten. Über einen kleinen Schlenker ostwärts nach Chulo, wo wir eigentlich einen Pass überqueren wollen, dieser jedoch noch zugeschneit ist, gelangen wir die nächsten Tage über ins Landesinnere. Auf der Hauptverkehrsstraße zwischen West- und Ostgeorgien wirkt die gesamte Topographie dieser Region zum Greifen nah: Linke Hand bildet der „Große Kaukasus“, ein imposantes Gebirge mit mehreren Gipfeln über 5000 Höhenmetern, die natürliche Grenze zu Russland. Rechte Hand der nicht minder beeindruckende „Kleine Kaukasus“, welcher sich entlang der Grenzen zu Armenien und der Türkei erstreckt. Dazwischen ein wunderschönes, breites Tal, wo sich einige größere Städte des Landes mit überwiegend kleinbäuerlicher Landwirtschaft abwechseln. Die hiesigen Viehbestände werden in überschaubarer Anzahl gehalten und haben nicht selten riesige Weiden, auf denen sich die Tiere austoben können. Da die meisten dieser Felder nicht abgezäunt sind, verirrt sich die eine oder andere Kuh auch schon mal auf den Straßen und labt sich an den Gräsern, ohne sich von den halsbrecherisch ausweichenden Fahrzeugen stören zu lassen.

Tatsächlich lässt der Fahrstil vieler Georgier, bei denen wir als Tramper mitfahren, zu wünschen übrig. Zahlreiche Autos, deren Stoßstangen nicht mehr existieren, zeugen von einer scheinbar nicht unerheblichen Anzahl an Unfällen. Schuld sind natürlich immer die Anderen. Und je egoistischer jemand fährt, desto mehr beschwert sich ausgerechnet diese Person über die übrigen Verkehrsteilnehmer. Der Fairness wegen muss man erwähnen, dass solche Zustände in Armenien und vor allem im Iran, wo wir diese Zeilen schreiben, nicht minder chaotisch sind. So richtig unangenehm wird es jedoch erst, wenn die Personen hinterm Steuer getrunken haben. Einmal steigen wir bei zwei jungen Männern ein, die sich bei einem kleinen Ausflug aufs Land eine Flasche Hochprozentiges teilen – ein Umstand, den wir leider erst bemerken, als wir schon auf der Rückbank sitzen und der Fahrer Gas gibt. Nur mit Mühe kann dieser den entgegen kommenden Fahrzeugen ausweichen. Er fährt solche Schlangenlinien, dass wir das Schlimmste befürchten und höflich bitten, nach wenigen hundert Metern wieder aussteigen zu dürfen, faseln was von Zeltplatzsuche, um den wahren Grund zu vermeiden, aus Angst, der Fahrer könne beleidigt sein oder aggressiv werden. Im Nachhinein ärgern wir uns jedoch, ihn und seinen Kollegen, nachdem wir ausgestiegen waren, nicht mit unserer ehrlichen Meinung konfrontiert zu haben. Wir hoffen, dass sie wohlbehalten an ihrem Zielort angekommen sind.

In der Hauptstadt Tbilisi starten wir unsere ersten Visa-Bewerbungsversuche für die kommenden Länder. Dass wir uns vor Beginn der Reise um kein einziges Visum gekümmert haben, hatte bei so manchem, dem wir von unserer Planlosigkeit berichteten, sorgenvolles Unverständnis ausgelöst. Wenn man jedoch bedenkt, dass wir ursprünglich einmal vorhatten, bereits im Dezember vergangenen Jahres in Georgien zu sein, können wir von Glück reden, uns nicht durch vorab bestellte Visa an irgendwelche Zeitpläne gehalten haben zu müssen. Spätestens in der Türkei wird uns jedoch die Dringlichkeit bewusst, zu überlegen, wo wir welche Visa beantragen können. Über die äußerst informative und höchst aktuelle Website Caravanistan wird für die Länder Zentralasiens jede denkbare Frage zu Visa-Angelegenheiten, Grenzübergängen oder Routenplänen beantwortet. Wir drucken uns eine Asienkarte aus und markieren jedes Land, welches auf unserer geplanten Reiseroute liegt, nach einem Ampelsystem: grün für visumsfrei, gelb für Visa übers Internet oder Visa an der Grenze und rot für Visa, welche man vorab in einer Botschaft beantragen muss. Letzteres gilt etwa für den Iran. Da sich das Land in den vergangenen Jahren mehr und mehr dem Tourismus öffnet, entpuppt sich der Gang zur iranischen Botschaft in Tbilisi als überraschend einfache Angelegenheit. Wir haben Blut geleckt, knöpfen uns tags darauf, allen pessimistischen Erfahrungsberichten auf der oben genannten Seite zum Trotz, gleich noch die chinesische Botschaft vor und können unser Glück kaum fassen, als wir nach einigem Hin und Her auch noch dieses Visum in den Händen halten. Mit diesen Schätzchen im Gepäck nimmt unsere zukünftige Route Form an und sorgt bei Stephie und mir für pure Vorfreude auf die exotische Ferne.

Auf der georgisch-aserbaidschanischen Grenze
Auf der georgisch-aserbaidschanischen Grenze

Nach dieser erfolgreichen Bürokratie-Tournee lockt uns wieder die Natur. Beim Kloster Dawit Garedscha nahe der aserbaidschanischen Grenze wirkt die Landschaft wie eine Vorankündigung auf das, was uns in der Mongolei erwartet oder vielmehr wie wir uns die Mongolei vorstellen. Eigentlich ist Georgien ja vor allem für seine wunderschönen Bergkulissen bekannt, wie wir sie nur wenige Tage zuvor im noch sehr kalten Norden bei Stepanzminda bestaunen konnten, doch beim Anblick dieser Weite, dieser grünen Steppe, die sich endlos bis zum Horizont zu strecken scheint, sind wir wirklich sprachlos. Hier treffen wir auf Fabian, einen Radreisenden aus Deutschland, der vor zwei Monaten zu Hause aufgebrochen ist, und seine Freundin Chrissi, die ihn gerade für zwei Wochen besucht. Beim Lagerfeuer tauschen wir uns lange über unsere Erfahrungen aus und sind überglücklich, uns seit langer Zeit mal wieder mit Gleichgesinnten unterhalten zu können. Der Rede- und Wissensbedarf ist bei allen Beteiligten groß, was nicht nur am Wein liegt, mit dem wir uns reichlich eingedeckt haben. Gespannt lauschen wir Fabians Geschichten und sind beinah etwas neidisch, dass er als Radreisender in Georgien schon so oft in Privathäuser eingeladen worden ist. Wir haben schon viel von der georgischen Gastfreundschaft gehört, sind selber jedoch mit dieser kaum in Berührung gekommen, haben wir uns doch bisher vor allem in der Anonymität der Hauptstadt aufgehalten. Natürlich darf man in der Hinsicht nichts erwarten, da solche Situationen in der Regel nur spontan entstehen können, etwa wenn wir trampen und dem Fahrer von unserer Reise und der Art des Unterwegsseins erzählen und dieser uns daraufhin kurzerhand zu sich nach Hause einlädt. Selbstredend geht es uns dabei nicht um das Materielle, nicht darum, die Kosten für ein Abendessen und mitunter gar für eine Unterkunft einsparen zu können. Vielmehr ist es eine Möglichkeit, einen Einblick in die Alltagskultur zu erhalten, Zeuge von Bräuchen und Traditionen zu werden, typisches Familienleben zu erfahren und, ja, natürlich auch authentische Küche zu kosten. Alles ohne Maske, ohne Inszenierung.

Zu Gast bei Dimitri und Familie
Zu Gast bei Dimitri und Familie

Als hätte uns eine gute Fee belauscht, tritt absurderweise all das nur wenige Tage später ein. Wir sind zu Gast bei Dimitri und seiner Familie und werden nach allen Regeln der georgischen Willkommenskultur mit reichlich Essen, selbstgemachtem Wein und Tschatscha, dem für das Land typischen Trauben-Wodka, versorgt. Dimitris Schwester entzückt uns mit folkloristischen Liedern auf dem Klavier, bevor ich mich im Gegenzug mit rostigen Fingern und mittlerweile ganz schön beschwipsten Kopf an „En unserem Veedel“ versuche. Die Stimmung ist fantastisch und während ich mir noch einbilde, plötzlich fließend russisch sprechen zu können, spricht Dimitri in seiner Rolle als Hausherr bereits den nächsten und hoffentlich letzten Toast des Abends aus. Am nächsten Morgen werden wir nach einem reichhaltigen Frühstück und immerhin drei obligatorischen Kurzen  erst aus dem Haus gelassen, nachdem wir noch Proviant für die nächsten drei Tage in unserem Gepäck verstauen – Widerstand zwecklos. Wir sind von dem herzlichen Empfang von Dimitri und seiner lieben Familie überwältigt und werden diese Begegnung als eines unserer Highlights in Georgien in Erinnerung behalten.

In den darauffolgenden Tagen unternehmen wir einige Wanderungen sowohl im Vashlovani- als auch im Lagodechi-Nationalpark. Bei solch ausgiebigen Spaziergängen in der Natur macht es besonders viel Freude, den Gedanken freien Lauf zu lassen und die Reise zu reflektieren. Mir wird klar, dass ich im Verlauf der vergangenen Monate eine meiner größten Ängste verloren habe, nämlich die vor der zeitlichen Unendlichkeit. Die Vorstellung, dass man eines Tages stirbt, die Welt sich anschließend jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach noch für viele Milliarden Jahre weiterdrehen wird, hat mir in den vergangenen Jahren regelmäßig Bauchschmerzen bereitet. Wenn mir auch nur für Bruchteile von Sekunden diese unfassbaren Gedanken kamen, und sei es am helllichten Tage beim Fahrradfahren, wurde mir extrem mulmig zumute. Selbst die Überlegung, dass ja die Alternative zur Unendlichkeit, also ein begrenzter Zeitraum für die Existenz unseres Universums, die eigentlich weitaus weniger attraktive Vorstellung ist, konnte mich nur geringfügig beruhigen. Vielleicht schwebte darüber hinaus  jedoch eine subtile Angst vor dem Tod mit und ich möchte nicht ausschließen, so pathetisch das klingen mag, eine kleine Quarterlife Crisis durchlebt zu haben. Wenn ich jetzt an all diese Dinge denke, empfinde ich keineswegs mehr irgendwelche Ängste, sondern lediglich eine tiefe Zufriedenheit durch die Gewissheit, eben diese Furcht überwunden zu haben. Während ich von dieser Erkenntnis erzähle, sinniert Stephie über eine Erklärung. Sie glaubt, die Reise lasse uns unentwegt mit Neuem und Ungewohntem in Berührung kommen, sodass wir nach und nach jegliche Furcht vor der Fremde verlieren und dieser zunehmend mit Vertrauen begegnen. Ziemlich einleuchtend, wie ich finde. Auch der Tod ist etwas Neues, Ungewohntes. Es ist die letzte Erfahrung, die ein Mensch in seinem Leben macht und vermutlich tut man gut daran, auch diesem Ereignis voller Zuversicht entgegenzutreten.

Das Geburtstagsmahl
Das Geburtstagsmahl

Nach diesem philosophischen Exkurs fiebern wir nach einem deutlich heiteren Thema: meinem Geburtstag. Bei Borjomi finden wir etwas abseits des Städtchens den perfekten Zeltplatz. Es gibt einen Tisch, eine Feuerstelle, eine Quelle mit Trinkwasser und einen Bach, der uns als Kühlschrank dient. Stephie zaubert uns morgens frische Pfannenkuchen und abends Semmelknödel mit gebratenem Gemüse. Dazwischen wandern wir für gemütliche zwei Stunden und lassen es uns am Nachmittag in den angrenzenden heißen Quellen gutgehen. Es sind die letzten Tage in Georgien, wo wir uns zwar theoretisch vorstellen könnten, noch länger zu verweilen, wir jedoch einen groben Zeitplan einhalten möchten, um in Hinblick auf unsere Route durch Zentralasien und das dort herrschende kontinentale Klima den Sommer ausgiebig nutzen zu können, in der Hoffnung, bei Herbsteinbruch die milden Gefilde Südostasiens zu erreichen. Darüber hinaus ist es natürlich immer wieder spannend, weiterzukommen und in ein neues Land einzureisen, auch wenn sich in diesem Fall Armenien kulturell nicht allzu sehr von Georgien unterscheidet.

Dort angekommen ist die samtene Revolution in vollem Gange. Dass der bis vor kurzem noch amtierende Präsident Sersch Sargjan durch eine dubiose Verfassungsreform weiterhin als Ministerpräsident an der Macht bleiben will, löst im ganzen Land eine einzigartige und sehr gut organisierte Protestwelle aus. An vorderster Stelle dieser Bewegung steht der Oppositionsführer Nikol Paschinjan, der von einigen Bürgern gar als Che Guevara Armeniens bezeichnet wird und für viele als Hoffnungsträger im Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft gilt. Nach einer für ihn zunächst erfolglosen parlarmentarischen Neuwahl zum Regierungschef, ordnet dieser einen Generalstreik und weitere Demonstrationen an. Wir sind im Nordosten des Landes angekommen, besichtigen die wunderschönen Klöster in Alawerdi und Haghpat und versuchen anschließend, uns von einer Straßenblockade zur nächsten zu hangeln. Das funktioniert überraschend gut. Wir trampen ein paar Kilometer, spazieren mit unseren Rucksäcken durch die vielen umherstehenden, als Sperre dienenden Autos und reisen auf der anderen Seite wieder per Anhalter weiter. Die Stimmung ist friedlich, die Menschen optimistisch. Wir winken ihnen zu und drücken ihnen symbolisch die Daumen.

In der Hauptstadt Jerewan besuchen wir das bedrückende, aber eindrucksvolle Genozid-Museum, welches den während des ersten Weltkriegs von den Osmanen verübten Völkermord an den Armeniern thematisiert. Der Deutsche Bundestag hat die Gräueltaten erst vor zwei Jahren offiziell als Völkermord anerkannt und damit harsche Kritik von der Türkei geerntet, die ihrerseits wiederum die Geschehnisse bis heute leugnet. Mit der Türkei auf der einen und Aserbaidschan auf der anderen Seite, politisch betrachtet beides Feinde der Nation, ist Armenien in einer geostrategisch ungünstigen Lage. Handel über den Landweg ist lediglich mit Georgien und dem Iran möglich und so verwundert es wenig, dass die Entwicklung des Landes nur stockend vorankommt. Beim Kloster Chor Virap hat man einen herrlichen Blick auf den mächtigen Ararat, einem inaktiven Vulkan von stolzen 5137 Höhenmetern und seines Zeichens Nationalsymbol von Armenien. Hier soll der Legende nach die Arche Noah gestrandet sein. Dass nun ausgerechnet dieser Berg seit dem Völkermord auf türkischem Territorium liegt, ist sinnbildlich für die gesamte Tragik der armenischen Geschichte.

Eine Woche nach der gescheiterten Neuwahl sitzen wir im Auto Richtung Süden. Es ist der 8. Mai. Gegen Mittag bekommt unser Fahrer einen Anruf. Paschinjan hat den zweiten Wahlgang gewonnen. Unglaublich! Es ist ein Neubeginn, ein Aufbruch in eine hoffentlich bessere und fairere Politik, heraufbeschwört durch die Macht des Volkes. Zu schade, dass wir die Hauptstadt bereits hinter uns gelassen haben, wo in diesen Tagen die vermutlich größte Party in der Geschichte des Landes stattfindet. Doch auch auf den Dörfern und in kleineren Städten sieht man die Leute grillen und feiern, während die Kinder in Landesfarben gekleidet umhertollen. Wir gönnen es den Menschen so sehr, freuen uns, stille Zeugen dieser Ereignisse geworden zu sein und Armenien in dieser guten Laune zu verlassen.

Auf dem Weg zum Iran offenbart sich uns zum Abschied die wilde, grüne Schönheit eines dünn besiedelten Gebiets, bevor sich die Landschaft schlagartig ändert und wir uns zwischen Steppen und kargen Felsen wiederfinden. An der Grenze packt Stephie einen luftigen, breiten Schal aus. Ab hier herrscht striktes Kopftuchgebot. Ab hier beginnt unser persisches Abenteuer. Doch das ist eine ganz andere Geschichte …